Das Bild der italienischen Renaissance wurde in der Goethezeit im deutschsprachigen Raum durch den Roman Ardinghello und die in den Tagebüchern erzählte dreijährige Italienreise geprägt. Heinses Italienbild und Italienwahrnehmung, die sich durch eine erotische Sinnlichkeit und ein „unaufhörlich Vergnügen“ kennzeichnen, wurden aus seiner frühen Beschäftigung mit der italienischen Literatur stark beeinflusst. Vorbilder waren in primis Ariosto und Tasso, deren Epen der Dichter in Prosa übertrug, denn er meinte, dass die strenge Form der Stanze in den Übersetzungen die Leidenschaft des Originals unterdrückte. Die Ottava Rima verwendete er hingegen schon früher, am Ende seines Romans Laidion, dessen Protagonistin ins Elysium entrückt, die Hingabe ans Sinnesglück als den wahren Eingang zum seligen Leben preist; in den dem Roman angehängten 50 Stanzen, die eine erotische Badeszene darstellen, wird das irdische Paradies im Ardinghello vorweggenommen. Als Modell für seine feurigen rime nannte Heinse die Phantasie Ariostos und die Schönheit Tassos. Durch die Nachahmung der Stanze näherte er sich der sinnlichen Renaissance und fand darin den Impuls zur weiteren Auseinandersetzung mit der italienischen Dichtung. Im Folgenden wird die Annäherung der Deutschen an die Ottava Rima als die Form der italienischen Phantasie im 18. Jahrhundert und Wielands Kritik an der Verwendung der italienischen Stanze im Deutschen vorgestellt. Im Zentrum des Beitrags stehen Heinses Verteidigung der strengen Stanze und die 50 ottave, die er Wieland als Provokation und Beweis seiner Distanzierung von ihm schickte und die einen Bruch mit ihm, eine Vorwegnahme des Sturms und Drangs und eine Annäherung an Goethe und an die Poetik der Geniezeit bedeuteten. Goethe selber wird nicht zufällig ihre „[J]ouissance“ preisen. Anhand eines näheren Vergleichs mit Ariosts und Tassos Ottave wird gezeigt, wie Heinse die metrische Form der strengen Stanze und zusammen mit der Form auch grundlegende Motive und Bilder der italienischen Dichtung in solche Strophen übernahm. Solche Verse dienten zum Laboratorium für die späteren Übersetzungen Ariostos und Tassos, nicht nur für jene Heinses, sondern auch und vor allem für die metrische meisterhafte Übersetzung von Gries und übten darüber hinaus auch einen bedeutenden Einfluss auf Goethe und die spätere deutsche Stanzendichtung, nicht zuletzt auch auf die Übersetzungskunst der Romantik und ihre Idee der „strengen Observanz“ aus.

Wilhelm Heinses Übersetzung der erotischen Sinnlichkeit in ottave rime. Die "Jouissance" der Laidiion-Stanzen

Elena Polledri
2019-01-01

Abstract

Das Bild der italienischen Renaissance wurde in der Goethezeit im deutschsprachigen Raum durch den Roman Ardinghello und die in den Tagebüchern erzählte dreijährige Italienreise geprägt. Heinses Italienbild und Italienwahrnehmung, die sich durch eine erotische Sinnlichkeit und ein „unaufhörlich Vergnügen“ kennzeichnen, wurden aus seiner frühen Beschäftigung mit der italienischen Literatur stark beeinflusst. Vorbilder waren in primis Ariosto und Tasso, deren Epen der Dichter in Prosa übertrug, denn er meinte, dass die strenge Form der Stanze in den Übersetzungen die Leidenschaft des Originals unterdrückte. Die Ottava Rima verwendete er hingegen schon früher, am Ende seines Romans Laidion, dessen Protagonistin ins Elysium entrückt, die Hingabe ans Sinnesglück als den wahren Eingang zum seligen Leben preist; in den dem Roman angehängten 50 Stanzen, die eine erotische Badeszene darstellen, wird das irdische Paradies im Ardinghello vorweggenommen. Als Modell für seine feurigen rime nannte Heinse die Phantasie Ariostos und die Schönheit Tassos. Durch die Nachahmung der Stanze näherte er sich der sinnlichen Renaissance und fand darin den Impuls zur weiteren Auseinandersetzung mit der italienischen Dichtung. Im Folgenden wird die Annäherung der Deutschen an die Ottava Rima als die Form der italienischen Phantasie im 18. Jahrhundert und Wielands Kritik an der Verwendung der italienischen Stanze im Deutschen vorgestellt. Im Zentrum des Beitrags stehen Heinses Verteidigung der strengen Stanze und die 50 ottave, die er Wieland als Provokation und Beweis seiner Distanzierung von ihm schickte und die einen Bruch mit ihm, eine Vorwegnahme des Sturms und Drangs und eine Annäherung an Goethe und an die Poetik der Geniezeit bedeuteten. Goethe selber wird nicht zufällig ihre „[J]ouissance“ preisen. Anhand eines näheren Vergleichs mit Ariosts und Tassos Ottave wird gezeigt, wie Heinse die metrische Form der strengen Stanze und zusammen mit der Form auch grundlegende Motive und Bilder der italienischen Dichtung in solche Strophen übernahm. Solche Verse dienten zum Laboratorium für die späteren Übersetzungen Ariostos und Tassos, nicht nur für jene Heinses, sondern auch und vor allem für die metrische meisterhafte Übersetzung von Gries und übten darüber hinaus auch einen bedeutenden Einfluss auf Goethe und die spätere deutsche Stanzendichtung, nicht zuletzt auch auf die Übersetzungskunst der Romantik und ihre Idee der „strengen Observanz“ aus.
2019
978-3110540390
978-3110542202
978-3110540949
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