Die Forschung hat versucht, Herders Journal in eine präzise literarische Gattung einzureihen. Diskutiert wurde, inwiefern es als ein Reisebericht und ein Reisetagebuch betrachtet werden kann und inwieweit es sich von den Reisebeschreibungen und Reiseanleitungen des späten 18. Jahrhunderts unterscheidet. Herder selbst hatte sein Werk als “ein sonderbares Ding” bestimmt. Sein Hauptinteresse scheint weder in der Reisebeschreibung noch in der autobiographischen Selbstdarstellung zu liegen. Das Journal ist kein Reisetagebuch; es gibt keine strenge Chronologie in der Anordnung der Notizen und keine genaue Datierung; es ist ebensowenig eine Bekenntnisschrift, obwohl er hier seine Gefühle ausdrückt. Noch ist es eine Reisebeschreibung. Herder selbst schreibt: “Man bildet sich ein, daß man auf Meeren, indem man Länder und Welttheile vorbeifliegt man viel von ihnen denken werde: allein diese Länder und Welttheile siehet man nicht” . Alle Länder erscheinen dem Autor aus dem Schiff gleich. Er meint außerdem: “Mein Geist ist nicht in der Lage zu bemerken, sondern eher zu betrachten, zu grübeln!” . Auch während der Reise bleibt er ein Lehrer, der durch sein Werk danach strebt, die Menschen zu bilden. Seiner Seefahrt legt er ein pädagogisches Ziel zugrunde: “[...] ein Buch über die Menschliche Seele, voll Bemerkungen und Erfahrungen, das sollte mein Buch seyn! ich wollte es als Mensch und für Menschen schreiben! es sollte lehren und bilden!” . Die pädagogische Reflexion ist aber im Journal mit der Erfahrung der Reise eng verbunden; die Reise ist ein grundlegendes und nötiges Ereignis; sie ist die Voraussetzung für die Entwicklung der Pädagogik; nur auf dem Schiff kann Herder der Philosoph werden, der “ein Buch zur Menschlichen und Christlichen Bildung” entwirft. Die Reise ist aber nie Zweck, sondern das Mittel, um in seinem Zeitalter “ein Prediger der Tugend” zu werden. Ich werde das Journal aus dieser pädagogischen Perspektive neu zu interpretieren und die tiefere Einheit dieses fragmentarischen Werkes zu begreifen versuchen. Meine Analyse wird einerseits hevorheben, daß diese Schrift alle Wurzeln der Hauptschriften Herders enthält, andererseits was die Forschung heute immer wieder betont, d.h. daß Herders Denken nicht nur durch die literarischen und philosophischen Bewegungen des 18. Jahrhunderts stark geprägt war, sondern daß es auch entscheidend zur Entwicklung der Philosophie und der Literatur der folgenden Epochen beitrug.

Das "Journal meiner Reise im Jahr 1769" und Herders Pädagogik der Menschheit

POLLEDRI, Elena
2002-01-01

Abstract

Die Forschung hat versucht, Herders Journal in eine präzise literarische Gattung einzureihen. Diskutiert wurde, inwiefern es als ein Reisebericht und ein Reisetagebuch betrachtet werden kann und inwieweit es sich von den Reisebeschreibungen und Reiseanleitungen des späten 18. Jahrhunderts unterscheidet. Herder selbst hatte sein Werk als “ein sonderbares Ding” bestimmt. Sein Hauptinteresse scheint weder in der Reisebeschreibung noch in der autobiographischen Selbstdarstellung zu liegen. Das Journal ist kein Reisetagebuch; es gibt keine strenge Chronologie in der Anordnung der Notizen und keine genaue Datierung; es ist ebensowenig eine Bekenntnisschrift, obwohl er hier seine Gefühle ausdrückt. Noch ist es eine Reisebeschreibung. Herder selbst schreibt: “Man bildet sich ein, daß man auf Meeren, indem man Länder und Welttheile vorbeifliegt man viel von ihnen denken werde: allein diese Länder und Welttheile siehet man nicht” . Alle Länder erscheinen dem Autor aus dem Schiff gleich. Er meint außerdem: “Mein Geist ist nicht in der Lage zu bemerken, sondern eher zu betrachten, zu grübeln!” . Auch während der Reise bleibt er ein Lehrer, der durch sein Werk danach strebt, die Menschen zu bilden. Seiner Seefahrt legt er ein pädagogisches Ziel zugrunde: “[...] ein Buch über die Menschliche Seele, voll Bemerkungen und Erfahrungen, das sollte mein Buch seyn! ich wollte es als Mensch und für Menschen schreiben! es sollte lehren und bilden!” . Die pädagogische Reflexion ist aber im Journal mit der Erfahrung der Reise eng verbunden; die Reise ist ein grundlegendes und nötiges Ereignis; sie ist die Voraussetzung für die Entwicklung der Pädagogik; nur auf dem Schiff kann Herder der Philosoph werden, der “ein Buch zur Menschlichen und Christlichen Bildung” entwirft. Die Reise ist aber nie Zweck, sondern das Mittel, um in seinem Zeitalter “ein Prediger der Tugend” zu werden. Ich werde das Journal aus dieser pädagogischen Perspektive neu zu interpretieren und die tiefere Einheit dieses fragmentarischen Werkes zu begreifen versuchen. Meine Analyse wird einerseits hevorheben, daß diese Schrift alle Wurzeln der Hauptschriften Herders enthält, andererseits was die Forschung heute immer wieder betont, d.h. daß Herders Denken nicht nur durch die literarischen und philosophischen Bewegungen des 18. Jahrhunderts stark geprägt war, sondern daß es auch entscheidend zur Entwicklung der Philosophie und der Literatur der folgenden Epochen beitrug.
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